Musik und Literatur sind schon immer unsere Leidenschaften. So sind für uns Romane, Erzählungen, Biografien, in denen die Musik oder Musiker eine besondere Rolle spielen, besonders spannend. Unser Freund Uwe Spannhake teilt mit uns dieses Interesse. Er stellt in lockerer Reihenfolge Bücher vor. Freuen Sie sich auf die neue Buchbesprechung bei uns.
Literaturtipps
Uwe Spannhake
Februar 2020
Hanns-Josef Ortheil „Wie ich Klavierspielen lernte“, Insel Verlag, 2019
Vielleicht erinnern Sie sich, vielleicht entdecken Sie es neu: In den Jahren 2014 bis 2018 schrieb ich auf dieser Homepage Rezensionen zu Büchern, die Lebensschicksale und Musik verknüpfen. Lange hatte ich nichts Passendes in der Hand, das Buch von Ortheil möchte ich Ihnen aber gerne vorstellen.
Ortheil wurde 1951 geboren, ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Sein literarisches Werk ist sehr umfangreich, in größeren Teilen auch autobiografisch geprägt.
Wer nun eine vollständige Biografie der ersten beiden Lebensjahrzehnte Ortheils erwartet, sollte eher sein Buch „Die Erfindung des Lebens“ lesen, das ich Ihnen sehr empfehlen kann.
Wer spezieller daran interessiert ist, wie sehr der Wunsch nach einer Pianistenkarriere und das ausgeprägte Interesse am Klavierspiel das komplette Leben eines jungen Menschen beeinflussen kann, liegt mit diesem Buch genau richtig.
Im Alter von vier Jahren erhält der junge Ortheil erstmals Klavierunterricht, zunächst von seiner Mutter. Beide sprechen nicht, die Mutter hat zwei Jungen durch frühen Tod verloren, daraufhin das Sprechen eingestellt, Hanns-Josef fängt deshalb gar nicht erst damit an. Das Klavierspiel schafft eine intensive Verbindung der beiden, auch wenn es die Mutter zunächst „...überforderte, ...weil sie das Strahlen dieser triumphal dahermarschierenden Klänge nach den tieftraurigen Erlebnissen in ihrem Leben noch nicht ertrug“. Doch bald beginnt mit „...dem Klavierspiel von Mutter und Sohn in der Wohnung im Kölner Norden eine neue Zeitrechnung.“ Durch elementare Übungen – ausschließlich von Carl Czerny - begeistert sich der Junge, bis es Zeit für einen richtigen Unterricht wird. Den übernimmt Frau Waigel, unverheiratet, keine Kinder, Studium an einem russischen Konservatorium, es wird russischer Tee eingeschenkt, russische Pianistenköpfe hängen in großen Porträts über ihrem Flügel. Bald das erste Vorspiel in einem Konzert der Klavierschüler Waigels, drei Stücke aus dem Kinderalbum von Tschaikowsky, fehlerfrei und „mit Ausdruck“. Doch er vergisst die Verbeugung und wird gegen seinen Willen erneut dafür auf die Bühne geschickt.
„Ich verbeuge mich tief, und der Applaus brandet richtig auf. Jemand ruft „Zugabe“..., ich bin leicht verärgert und verbeuge mich ein zweites Mal.“
„Frau Waigel zischt aus der Ferne („Komm jetzt! Das genügt!“), ich denke nicht daran, ihr zu gehorchen.“ Und so spielt er eine Zugabe, eine seiner eigenen Improvisationen, was Waigel im Anschluss heftig kritisiert.
In eingefügten Passagen blickt Hanns-Josef Ortheil an vielen Stellen im Buch auf seine Erlebnisse zurück, hierzu schreibt er: „ Fast wäre alles schief gegangen, dann nämlich, wenn ich die drei kleinen Stücke gespielt ...und mich ordentlich verbeugt hätte. Mein Auftritt wäre rasch vorbei gewesen. Niemand hätte sich an mich erinnert. .. All das hätte keine Freude gemacht und erst recht nicht dazu verführt, solche Begegnungen mit dem Publikum zu wiederholen.“
Dieser Antrieb – aber auch die authentische Liebe zur Musik und zum Klavierspiel – prägen sein Leben, er vernachlässigt irgendwann die Schule, weil er sich nur noch aufs Üben konzentriert. Er wechselt Klavierlehrer, sobald er merkt, dass sie ihn nicht auf geeignete Weise fördern - bis er einen völligen Zusammenbruch erleidet und wochenlang antriebslos im Bett zubringen muss.
Zuvor erlebte er begeisternde Konzerte, u.a. den Auftritt von Glenn Gould 1959 in Salzburg mit den „Goldbergvariationen“. „ Dass er „unterkühlt“ spielte, konnte ich bestätigen – aber gerade das gefiel mir ja so. Zu sagen,.. er hätte zurückhaltend gespielt, wäre jedoch falsch gewesen. So wie er sich über die Tasten beugte und sein Spiel forcierte, wirkte er wie ein Besessener“.
Der Zufall will es, dass er in Salzburg Glenn Gould sogar persönlich begegnet. „Plötzlich steht ein Mann neben mir und schaut zu. Er bückt sich, sammelt ebenfalls ein paar Steine und lässt sie über den Fluss hüpfen...begreife dann aber sehr schnell, wer vor mir steht.“ Nach einem kurzen Gespräch „ mit einem seltsamen Gemisch von deutschen und englischen Wörtern“ läuft Gould los, ruft „Come on“, beide laufen am Ufer der Salzach um die Wette. Später spricht Gould die „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ von Robert Schumann an, nach denen der Junge üben solle. Diese hatte er aber ebenfalls bereits in seinem Unterricht kennengelernt, so dass er sich ziemlich altklug als „Schumannianer“ zu erkennen gibt – im Alter von acht Jahren.
Im weiteren Verlauf der Erzählung erfährt man viele Hintergründe zu verschiedenen Übungsmethoden, zu berühmten Pianisten und zu den dämonischen Seiten manischen Übens. Diese bringen Ortheil bis zu einem Stipendium am Konservatorium in Rom. „Als einer der jüngsten Stipendiaten ..brachte mich manches sehr durcheinander- wie etwa eine Liebesbeziehung zu einer jungen Südtirolerin, mit der ich in den Nächten immer häufiger auch allein unterwegs war.“ Letztlich schien alles auf dem Weg, den sich der kleine Junge Jahre zuvor erträumt hatte. Doch eine heftige Sehnenscheidenentzündung führte zum Aus all dieser Träume.
Ein Buch, das für Hobbypianisten oder allgemein an Klaviermusik Interessierte viele Eindrücke und Erkenntnisse bereit hält. Ein Buch, das aber auch generell zum Nachdenken über Lebenswege junger Menschen anregt.
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