Mit viel Geduld und gutem Gehör


12. Januar 2021

AUSBILDUNG ZUR KLAVIERBAUERIN

Ida Brunken hat es fast geschafft: Nur noch zwei Monate, dann kann sie ihre Ausbildung im Klavierhaus Helmich in Verden mit der Gesellenprüfung abschließen. „Das waren drei spannende Jahre“, findet die 23-Jährige, die mit dieser Berufswahl eine ausgesprochen seltene Entscheidung getroffen hat. Nur etwa 40 Auszubildende zum Klavierbauer gibt es bundesweit pro Jahrgang – und nicht jeder von ihnen hält durch bis zum Schluss.

Denn für junge Menschen ist diese Ar­beit eine recht einsame Angelegenheit: „Der größte Teil der Ausbildung spielt sich in der Werkstatt ab“, erklärt Mo­ritz Helmich, „und man ist dort über weite Strecken ganz allein.“ Außer dem Firmengründer Ulrich Helmich und seinem Sohn Moritz sind zwei weitere Klavierbauer hier be­schäftigt, doch eine Mitarbeiterin ist gerade in Elternzeit. Zu dritt teilen sich die anderen eine Fülle von Aufgaben: Präsenz in den Ausstellungsräumen, in denen Kunden beraten und Verkäufe getätigt werden; täglich anfallende Klavierstimm-Termine, Klavier­transporte und Betreuung von Kon­zerten – und eben die Arbeit in der Werkstatt. Und so ist Ida Brunken häu­fig ganz auf sich allein gestellt dort unten im Keller, wo zu jeder Zeit ei­nige überholungsbedürftige Instru­mente tief in ihr Innerstes blicken las­sen.

„Daran habe ich mich inzwischen ge­wöhnt“, sagt die junge Frau, die nach dem Abitur von Ostfriesland nach Verden gezogen ist. „Ich wollte gern etwas Besonderes machen,“ erklärt sie, „etwas, was völ­lig anders als Schule ist“. Als begabte Klavierschülerin hatte sie einen guten Draht zu diesem Instrument, und oh­nehin sollte es etwas Handwerkliches sein. Im Praktikum zeigte sich, dass sie sich gut vorstellen konnte, mit Klavieren zu arbeiten, und schließlich wurde sie aus einer großen Zahl von Bewer­bern – auch aus dem Ausland – ausgewählt.

FÜLLE VON EINZELHEITEN

Am Anfang habe sie immer nur stau­nen können darüber, welche Fülle von Einzelheiten stimmen müssen, damit ein Klavier so klingt, wie es soll: „Frü­her war ein Klavier für mich einfach ein Klavier; ich habe nie darüber nachgedacht, was in ihm passiert.“ Doch im Laufe der Ausbildung wurde sie immer vertrauter mit der erstaun­lich differenzierten Mechanik, die sich – anders als in fast allen anderen Berei­chen der Technologie – im Laufe der Jahrhunderte gar nicht allzu stark ver­ändert hat. Schritt für Schritt wurde sie mit den Handgriffen vertraut, die das Geheimnis des Instru­ments ausmachen: „Filze und Hämmer richten oder austauschen, Saiten er­neuern, die gesamte Mechanik über­holen, stimmen und intonieren.“ Into­nieren – damit ist gemeint, festzulegen, wie der korrekt gestimmte Ton am Ende klingen soll: härter, weicher, scharf prägnant oder eher abgerundet. Jeder Ton muss nicht nur in sich, son­dern auch zum ganzen Instrument und nicht zuletzt zu seinem Spieler passen. Moritz Helmich hat viel Routine darin, ein Instrument genau nach den Wün­schen der Pianisten, die er betreut, auszurichten. „Der Hammerkopf ist es, der über den Klang entscheidet“, weiß der junge Meister. 

Die Arbeit am Klang ist sicherlich die anspruchsvollste Aufgabe. Natürlich braucht man ein sicheres Gehör; Kla­vier spielen zu können, ist keine zwin­gende, aber doch eine gute Vorausset­zung. „Ohne die Liebe zum Instrument und zur Musik geht es nicht“, erklärt Helmich, der für die Ausbildung seiner angehenden Gesellin zuständig ist. Vor allem beim Stimmen der Instrumente sei Erfahrung ein wesentlicher Faktor. Mit der Zeit werde das Ohr immer sen­sibler, bis der Mensch auch feinste Nuancen zu hören in der Lage sei. Natürlich sei auch die Kosmetik wich­tig: „Das Gehäuse polieren ist eine Aufgabe, die vor allem bei den Flügeln regelmäßig anfällt.“ Klar, denn in dem glänzenden Lack muss sich der Spieler spiegeln können: Mit seiner makello­sen Oberfläche beeindruckt solch ein edles Instrument bereits vor dem Kon­zert.

„Alles, was ich gelernt habe, muss ich immer wieder üben, bis es zur Routine wird“, erklärt Brunken. Dabei gebe es sicherlich Dinge, die spannen­der sind und andere, die weniger Spaß machen. „Natürlich ist es interessanter, ein Klavier ganz neu zu beziehen als die alten Saiten zu stimmen.“ Beson­ders bei immer wieder kehrenden all­tägliche Aufgaben brauche man vor allem eines: jede Menge Geduld.

„Inzwischen habe ich eigentlich alles durch, was auf dem Ausbildungsplan steht“, sagt die angehende Klavierbau­erin. Gerade hat sie gelernt, einen Re­sonanzboden auszuspanen. Das muss gemacht werden, wenn im Lauf der Zeit Risse entstanden sind, und dabei ist größte Sorgfalt für den Klang des Instrumentes lebenswichtig. Überhaupt gebe es eine Reihe Aufga­ben rund um die Holzbearbeitung, die sie besonders gern mache. „Das sind eigentlich ganz normale Tischlerar­beiten“, erklärt sie.

Ulrich Helmich ergänzt: „Man muss sich nicht nur mit dem rein Handwerklichen, sondern auch mit der Materialbeschaffenheit auskennen, muss genau wissen, welches Holz wie reagiert.“ Alles über Materialkunde lernt die Auszubildende in den Block­seminaren der Berufsfachschule, die einmal jährlich stattfinden. Eine einzige gibt es in Deutschland, und die ist in Ludwigsburg bei Stuttgart. Natür­lich sind diese Seminare und der Kon­takt zu den anderen Auszubildenden eine willkommene Abwechslung, doch die Arbeit in der Werkstatt gefällt der jungen Frau noch besser. „Am schönsten war es, als ich einmal eine geschnitzte Holzleiste bei einem alten Klavier ausbessern sollte“, erzählt sie. Das so hinzubekommen, dass man den Schaden hinterher nicht mehr sieht, sei eine echte Herausforderung.

Gerade steht ein weit über hundert Jahre altes Instrument in der Werkstatt, dessen Tasten sogar noch mit echtem Elfenbein belegt sind. Doch die Res­tauration solch alter Veteranen sei ex­trem aufwändig und lohne sich längst nicht immer, sagt Helmich. „Manch­mal bitten uns Kunden, ein Instrument zu überholen, damit sie es besser ver­kaufen könnten. Doch diese Rechnung geht leider selten auf; viel öfter müs­sen wir den Kunden davon abraten.“ 

Wenig Sorgen bereitet der Familie Helmich, die das größte Klavierhaus der gesamten Region führt, der Vor­marsch der digitalen Tasteninstru­mente, die sich übrigens auch hier in der Ausstellung finden. „Digitale Klaviere können die Möglichkeiten des mechanischen Instrumentes nicht ersetzen, sondern bestenfalls ergän­zen“, so Helmich: „Das rein physische Erlebnis des Klavierspiels ist über­haupt nicht mit dem Spiel auf einem digitalen Instrument zu vergleichen.“ Auf digitales Spiel auszuweichen, sei wohl für Hobbymusiker, die etwa in Mehrfamilienhäusern wohnen, die ein­zige Möglichkeit, denn so könnten sie lautlos, also mit Kopfhörern spielen. Doch der Wunsch junger Eltern, ihrem Kind das Spiel auf einem richtigen Klavier zu ermöglichen, nehme sogar noch zu. „Und Klaviere, die gestimmt werden müssen, wird es immer ge­ben.“

Und wie steht es um die Perspektiven für den Klavierbauer-Nachwuchs? „Nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu finden, ist überhaupt kein Problem“, weiß Helmich. Im Gegenteil, es gebe viel zu wenig Fachkräfte für die vielen Klavierhäuser und -fabriken im Land. Das sei auch einer der Gründe, warum er sich vor drei Jahren entschlossen habe, selbst aus­zubilden. Für Brunken ist also auch nach der Gesellenprüfung gesorgt: Sie wird dem Klavierhaus Helmich als Mitarbeiterin erhalten bleiben. Und für das Jahr 2022 ist dann wieder „Nach­wuchspflege“ angesagt: „Wir haben mit Ida so gute Erfahrungen gemacht, dass wir auch weiterhin ausbilden möchten.“ 

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