Weserkurier vom 6.10.17
Von Serena Bilancieri Foto: Björn Hake
Verden. Die Ausbildung von Ida Brunken klingt für Musikliebhaber wie ein Traum. Sie arbeitet mit den verschiedensten Klavieren und Flügeln, jeden Tag. Man könnte sagen, dass sie die Geheimnisse der Instrumente kennt. Denn die 20-Jährige aus Leer macht eine Ausbildung zur Klavierbauerin. Musikalische Begeisterung sei jedoch nicht das Einzige, auch nicht mal das Wichtigste, das eine Klavierbauerin brauche, sagt sie. Es gehe eher um das handwerkliche Geschick. Das wird jedem klar, der ihr auch nur wenige Minuten lang bei der Arbeit zusieht. Die junge Frau in Jeans und lockerer Kleidung zieht mit Fingern und Schraubenzieher schnell einen grünen Filzstreifen zwischen die Saiten eines Klaviers. „Drei Saiten geben einen Ton ab“, erklärt sie. „Ich muss zuerst den Streifen durch die Saiten ziehen, bevor ich das Klavier stimmen kann.“ Nachdem der Ton durch den Stoff gedämpft ist, setzt Brunken mit ihrem Stimmhammer an den Stimmwirbeln an – das sind die kleinen Metallstifte, die die Klaviersaiten auf Spannung halten. Sie justiert sie nach, damit die Tasten wieder den richtigen Ton erzeugen. Deren Höhe gleicht sie mit einer Stimmgabel ab. „Ein absolutes Gehör wäre dabei nicht von Vorteil“, sagt Moritz Helmich, Klavierbaumeister und Inhaber des Klavierhauses Helmich. Er beaufsichtigt die Arbeit seiner Auszubildenden, die kürzlich in dem Betrieb in Verden angefangen hat. Musik und Handwerk verbinden Klavierstimmer müssen den Ton auf den Bezugston stimmen sowie auf die Klänge daneben liegender Tasten. Jemand, der nach absolutem Gehör stimme, könnte damit ein Problem haben, sagt Helmich. Nicht alle Klaviere haben nämlich die gleiche Tonhöhe. Auch müsse der Ton so rein wie möglich, aber nicht übertrieben rein werden – sonst sei er dann zu hoch. „Eine gewisse Musikalität ist aber schon ein Vorteil für diesen Job“, sagt Brunken. Sie selbst spielt Klavier, seit sie neun Jahre alt ist. Nach dem Abitur wollte sie dann etwas tun, das Musik und Handwerk verbindet. „Ich habe das Meine gefunden“, sagt sie jetzt.
Ida Brunken ist eine Rarität, so könnte man sagen. In Deutschland gibt es eine einzige Schule für Klavierbauer, in Ludwigsburg bei Stuttgart; auch Instrumentengeschichte oder Mathematik werden dort gelehrt, und nur etwa 30 Schüler im Jahr besuchen sie. Brunken findet es „cool“, dass nicht so viele den Job kennen. „Es ist eben etwas Besonderes.“ Nach Abschluss der Ausbildungszeit habe man in der Regel eine relativ breite Auswahl, was mögliche Jobs angeht, erzählt Helmich. Manche Klavierbauer kommen bei Theatern unter, andere bei einem der Klavierhersteller in Handwerksbetrieben oder in Musikgeschäften.
Bei Helmich lernen die Auszubildenden den Umgang mit den Kunden im Geschäft kennen, denn das Klavierhaus verkauft auch Instrumente. Schließlich gibt es immer noch viele Kunden, die trotz der Bequemlichkeit des elektronischen Keyboards oder der EPianos auf einem richtigen Klavier spielen wollen. „Und ich auch“, sagt Brunken. In den weißen, hohen Altbau-Räumen des Ladengeschäfts in Verden sind neue und restaurierte Flügel aufgereiht. An den Wänden hängen Kunstgemälde. „Es ist die Kombination aus der besonderen, künstlerischen Atmosphäre im Haus und der Entspannung bei der Handarbeit, die mir besonders gefällt“, sagt Brunken. Klavierbauer müssen nicht nur mit Stimmgeräten, sondern auch mit Holz umgehen können. Die Ausbildung umfasst deswegen auch Bestandteile der Tischlerlehre. Klavierbauer beweisen sich hier mit kleineren Arbeiten und erlernen den Umgang mit den Werkzeugen. In der Werkstatt, die sich im Souterrain befindet, ist der Kontrast zu den Ausstellungsräumen groß. Klaviere stehen offen mitten im Raum, Werkzeuge für die Holz und Metallbearbeitung hängen von der Wand. Brunken holt einen Holzkasten aus einem Fach. „Das habe ich selbst gebaut, es ist eine Resonanzbox, zum Einstimmen“, sagt sie. Ein gewisses handwerkliches Geschick sei auch bei bestimmen Reparaturen an den Klavieren notwendig. Etwa beim Austauschen der Hammerköpfe.
Der Filz, der diese umspannt, ist für die Qualität des Klangs wichtig und muss ab und zu gewechselt werden. „Ihn am ganzen Klavier auszutauschen dauert ungefähr zwei Tage, aber wenn man noch unerfahren ist, dauert es länger“, sagt Helmich. Wer den Beruf erlernen wolle, brauche auch viel Geduld, sagt Brunken. „Man muss am Anfang immer alles achtmal machen, so gefühlt“, sagt sie und lacht. Bedachtsamkeit sei in der Werkstatt unabdingbar.
Eine Frage von Millimetern Helmich zeigt eine kleine Spalte am Holzkörper, der mit Filz verkleidet ist. „Wenn der ausgetauscht werden muss, ist das eine Frage von Millimetern“, sagt Helmich. Es komme darauf an, ein Gespür dafür zu bekommen, wie dicht der Filz an die Seiten gedrückt werden muss.
Fingerspitzengefühl ist in Umgang mit den teilweise älteren Klavieren und Flügeln sowieso gefragt. „Jedes Klavier ist anders“, sagt Jochen Kaiser, ein Mitarbeiter, der seit 20 Jahren diesen Beruf ausübt. Es sei schon eine enge Beziehung, die man als Klavierbauer zu seinen jeweiligen Instrumenten aufbaue.
Ungefähr drei Monate dauert es, bis ein Klavier komplett renoviert ist, erklärt Helmich. „Und jedes ist individuell“, sagt Kaiser. Wie ein Forscher müsse man sich dem Instrument annähern, um dessen Geschichte zu rekonstruieren. Alles, was es erlebt hat, und die Art, wie es gebaut wurde, beeinflusst irgendwie schließlich den Klang. Für Klavierbauer sei das, was die meisten nicht sehen, eigentlich am wichtigsten. Am Ende der Werkstatt-Besichtigung ist von Musikgesprächen nicht mehr die Rede. Die Arbeit einer Klavierbauerin setzt viel früher an, an dem Punkt, bei dem noch kein musikalischer Diskurs entstanden ist. „Es ist eben in erster Linie ein Handwerksberuf“, sagt die Auszubildende. In ihren Pausen jedoch dürfe sie auch einfach mal Klavier spielen
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