Mit Fingerspitzengefühl klemmt Ida Brunken einen roten Stoffstreifen zwischen die Saiten. Das soll den Ton dämpfen. Dann demonstriert sie unter Anleitung von Ulrich Helmich, wie man mit dem Stimmhammer nachjustiert, damit die Tasten wieder gut klingen. Für den routinierten Klavierstimmer dauert der Vorgang rund eine Stunde, „wenn es schnell gehen muss“, wie Helmich sagt. Anfänger wie die 20-Jährige bräuchten schon mal einen ganzen Tag, um so einem Flügel wieder zum guten Klang zu verhelfen.
Mit ihrer Ausbildung zur Klavierbauerin ist Ida Brunken einzigartig im Landkreis. Zum August hat sie im Verdener Klavierhaus Helmich angefangen und ist dafür aus ihrer Heimat Leer an die Aller gezogen. Ihr neuer Chef Ulrich Helmich ist schon seit 1997 in Verden, nachdem er mit seinem Betrieb aus Blender weggezogen war. Jetzt bildet das Unternehmen erstmals aus und bekam auf die Ausschreibung Bewerbungen aus ganz Deutschland, sogar aus Italien, erzählt Helmich.
Nach Informationen von Bernd-Uwe Metz, Sprecher der Arbeitsagentur Nienburg-Verden, gibt es im Bereich der Musikinstrumentenbauer sonst keine Auszubildenden in den Landkreisen Diepholz, Nienburg und Verden – in ganz Niedersachsen sind es 35. In den Bereich der seltensten Ausbildungsberufe in der Region fällt auch der Goldschmied: „Im Landkreis Verden haben wir sieben Personen, die sich hauptberuflich mit kunsthandwerklicher Metallgestaltung beschäftigen“, weiß Metz. Auszubildende sind darunter zur Zeit allerdings nicht.
Musikalität trifft Handwerk
Ida Brunken ist jedenfalls mit Feuereifer bei der Sache. „Ich hatte Klavierunterricht und arbeite gerne handwerklich, darum habe ich mich für den Beruf interessiert“, sagt die junge Frau. Musikalische Fähigkeiten sind allerdings keine zwingende Voraussetzung für den Job, sagt Helmich. Ein gutes Gehör könne allerdings nicht schaden, schließlich nimmt das Klavierstimmen einen großen Teil der Arbeit ein. Und auch obwohl die Profis bei Helmich heute eine App auf dem Smartphone zum Stimmen benutzen, muss die Auszubildende natürlich bei Null anfangen.
Mit der seltenen Ausbildung müsse man später nicht zwingend im Unternehmen bleiben, meint Klavierbauer Jochen Kaiser. Er arbeitet seit 18 Jahren bei Helmich und leitet die neue Auszubildende gerade in der Werkstatt an. Wovon sich auch Ida Brunken vor Ort noch ein Bild machen wird, ist beispielsweise die Fabrik des Klavierherstellers Schimmel in Braunschweig. Doch als Exot muss man flexibel und mobil sein: Die einzige Berufsschule in ganz Deutschland sitzt in Ludwigsburg bei Stuttgart. Dort werden für die jährlich rund 30 Schüler Blockseminare veranstaltet.
Und auch wenn sich die 20-Jährige dazu entscheiden sollte, in dem Metier zu bleiben, wird sie viel fahren müssen. „Wir haben einen Arbeitsumkreis von rund 100 Kilometern“, sagt der Chef. Ein weiteres Standbein des Verdener Betriebs ist auch der Verleih von Konzertflügeln, unter anderem an musikalische Größen wie Max Mutzke oder Gregory Porter, wenn sie in der Region gastieren. Bei letzterem brachten Helmich und seine Frau das Instrument jüngst selbst in Bremerhaven vorbei, um sich dann gleich das Konzert anhören zu können, erzählt der gebürtige Thedinghauser.
Während oben im Ausstellungsraum an der Eitzer Straße die fertig restaurierten Exemplare auf Kundschaft warten, wird unten in der Werkstatt gerade wieder ein Flügel in seine Einzelteile zerlegt. Das Holz des sogenannten Resonanzbodens muss aufgearbeitet werden, dazu wird der schwere Gussrahmen mit einem kleinen Kran herausgehoben.
„So wird das Klavier seit 100 Jahren gebaut, da war die Entwicklung ausgereift“, stellt Helmich angesichts der Konstruktion fest und zeigt auf einen generalüberholten Flügel aus dem Jahr 1914, der aussieht wie frisch aus dem Werk. Für Ida Brunken geht die Ausbildung erst einmal handwerklich los, sie muss sich zunächst im Tischlern üben. So soll sie ein Gefühl für die Holzarbeiten entwickeln. Bevor sie dann an den Instrumenten der Kunden für den guten Ton sorgen darf, muss sie allerdings noch ein paar Jahre üben.
Verdener Nachrichten 15.08.2017 Von Anna Zacharias Fotos von Björn Hake
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